Unser gewohnter Tagesablauf kann aus verschiedenen Gründen leicht aus den Fugen geraten. So kann zum Beispiel eine berufliche Veränderung zu mehr Arbeit oder einem längeren Arbeitsweg führen. Auch private Veränderungen wie eine Fernbeziehung oder Familienzuwachs können unseren Zeitplan durcheinander bringen. Für meinen Mann und mich war es die Geburt unserer kleinen Tochter, die eine große Anpassung unserer gewohnten Trainingsabläufe erforderlich machte. Im Gegensatz zu früher, wo wir 10 Minuten nach dem Weckerklingeln schon ins kühle Nass des Schwimmbeckens gesprungen sind und unsere Schwimmeinheit absolviert haben, bevor wir pünktlich um 8:00 Uhr im Büro erschienen sind, schaffen wir es heute manchmal kaum zur Zeit aus dem Haus, auch wenn am frühen Morgen kein Training stattgefunden hat. Und wenn wir ohne unsere Tochter unterwegs sind, zieht es uns nach getaner Arbeit sofort nach Hause, wo wir früher gleich noch eine Laufeinheit mit dem Leichtathletikverband angehängt haben, bevor wir den Tag mit einem guten Teller Pasta ausklingen liessen. An den Wochenenden machten wir unsere stundenlangen Radtouren, bei denen wir keine Pausen einplanen und abgesehen von unseren knurrenden Mägen, auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen mussten. Heute gibt unser kleiner Sonnenschein den Takt vor und bestimmt massgebend den Zeitplan in unserem Alltag.

Man hört immer wieder, dass «keine Zeit zu haben» eine Frage der Priorität sei. Das Problem, keine Zeit für das Training zu haben, wäre demnach gelöst, wenn wir dem Training eine höhere Priorität einräumen würden. Was aber, wenn die Priorität nicht verschoben werden kann, weil unsere Tochter das Wichtigste für uns ist, wir aber trotzdem nicht darauf verzichten wollen, etwas für unsere Fitness zu tun? Eine möglichst hohe Effizienz beim Training scheint die Lösung zu sein. Effizienz bedeutet, mit wenigen Ressourcen auszukommen und grosse Projekte mit wenig Aufwand zu realisieren. In unserem Fall ist die knappe Ressource die Zeit. Umso wichtiger ist es, die knappe Zeit sinnvoll zu nutzen. Ein Intervalltraining z.B. braucht wenig Zeit, hat aber für Ausdauersportler einen großen Effekt. Wenn also statt der geplanten 90 Minuten für eine Laufeinheit plötzlich nur noch 40 Minuten übrig bleiben, kann das trotzdem eine sinnvolle Trainingseinheit sein. Ein kurzes Ein- und Auslaufen und dazwischen eine Reihe von kurzen, aber hochintensiven Einheiten können für die Leistungssteigerung effektiver sein als ein 90-minütiger Dauerlauf. Natürlich sollte nicht jede Trainingseinheit kurz und hochintensiv sein, auch lange Einheiten sind notwendig, um die Grundlagen zu festigen. Diese sollten aber in der Regel so langsam sein, dass man sie oft mit einem Treffen mit Freunden oder sogar mit den Kindern verbinden kann. So wäre es beispielsweise denkbar, die kurzen und intensiven Trainingseinheiten unter der Woche zu absolvieren, indem man noch kurz die Laufschuhe schnürt oder ein paar Runden auf der Nachtloipe dreht. Die längeren Einheiten können dann am Wochenende stattfinden, wo man sich mit Freunden zu einer mehrstündigen Wanderung trifft oder die Kinder im Thule hinter sich herzieht, während sie ein Nickerchen machen. Um den Aufwand für eine Trainingseinheit so gering wie möglich zu halten, sollte der Einstieg in ein Training so schnell wie möglich erfolgen. Es ist hilfreich, bereits zu wissen, welche Art von Training man durchführen möchte und welche Utensilien dafür benötigt werden. Das benötigte Material sollte auch schon einsatzbereit sein. Wenn ich vor einem kurzen Intervalltraining erst noch die Langlaufskis präparieren oder die Laufschuhe suchen muss, sinkt die Motivation und die Hürde für die Umsetzung ist höher. Regelmässigkeit und Routine helfen. Darüber hinaus kann Trainingseffizienz bedeuten, knappe Ressourcen neu zu interpretieren. Zum Beispiel kann der zeitraubende Arbeitsweg als Trainingseinheit genutzt werden, indem die Strecke mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuss zurückgelegt wird. Chris Carmichael schreibt in seinem Buch «The Time-Crunched Cyclist», dass er in nur 6 Trainingsstunden pro Woche ein hohes Niveau als Leistungssportler erreichen kann, indem er den Arbeitsweg mit dem Fahrrad zurücklegt und dabei ein Intervalltraining einbaut. Für uns Amateure lässt sich demnach mit noch weniger Zeitaufwand eine Leistungssteigerung erreichen.

Die Erholung ist bei einem verkürzten Trainingsplan genauso wichtig wie bei einem langen. Es ist ein weit verbreiteter Denkfehler, dass man bei kurzen Trainingseinheiten auf Pausen verzichten kann. Viele denken, dass sie, wenn sie nur wenig Zeit in das Training investieren können, jeden Tag eine Einheit absolvieren sollten. Das kann hilfreich sein, um nach einem anstrengenden Arbeitstag den Kopf frei zu bekommen. Eine Leistungssteigerung ist damit aber wahrscheinlich nicht verbunden. Es gibt Lebensphasen, die einem zeigen, dass man sich sehr schnell vom «Alles-oder-Nichts-Prinzip» lösen muss, um nicht ganz mit dem Training aufzuhören, weil man nicht mehr alles so kann wie früher. Körper und Geist danken es einem, wenn man so flexibel wie möglich ist und trotzdem am Ball oder auf den Skis bleibt!


Nicole Besse (geb. 1990) ist Dr. phil. Psychologin und (FSP) Psychotherapeutin, aktive Sportlerin und Mutter einer kleinen Tochter. Dank ihrer beruflichen Kompetenz und ihren beeindruckenden Leistungen bei unterschiedlichen Wettkämpfen kennt sie die Höhen und Tiefen, die wir alle immer wieder selber erleben. Exklusiv in unserem Magazin schreibt die sympathische Prättigauerin regelmässig spannende Artikel über Sport, Motivation und mentale Stärke!

Sportliche Erfolge

  • 4. Rang Ironman Thun 2021
  • 4. Rang (Kategorie) / 85. Rang (Overall) Engadin Skimarathon 2017
  • Besteigung des Matterhorns
  • Teilnahme an vielen Marathons, u.a. München und Lausanne